Jede Minute, die man lacht, verlängert das Leben um eine Stunde. (Chinesisches Sprichwort)
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Unser turbulentes Leben - Die Geburt unserer Engelchen
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Der vorzeitige Blasensprung, die viel zu frühe Geburt und das Hello-Good-Bye
Mein Albtraum begann am Mittwoch, 21.06.2000. Ich war in der 22. SSW, in 21 + 5 SSW. Der Tag verlief eigentlich relativ normal. Wir waren gerade in eine größere Wohnung umgezogen, ich durfte mit meinem dicken runden Bauch natürlich nichts machen. So lag ich auf meinem Bett, während meine Mutti meine Sachen in den Schlafzimmerschrank räumte. Ich sah ihr zu, kam mir relativ überflüssig und irgendwie unbehaglich vor. Ich - die sonst immer alles allein organisiert und durchzieht - war plötzlich zum Nichtstun verdonnert. Aber ich hielt mich an die Auflagen, die mir Dr. Diehl, Dr. Hecher und Frau Dr. Hieke verordnet hatten. Ruhe - Ruhe - Ruhe, viel Schonung, viel die Beine hoch, immer wieder mal hinlegen. Ich tat alles, damit meine Mädels im Bauch in Ruhe wachsen und gedeihen konnten. Sie zappelten wieder, Vivien mehr als unsere kleine ruhige Vanessa. Vanessa bewegte sich immer sehr sachte, eher bedächtig, ich glaub, sie kam ganz nach mir - die Ruhe in Person. Wogegen Vivien wieder einmal ping-pong mit meiner Blase spielte. Am laufenden Band mußte ich auf die Toilette. Oh wie sollte ich dies noch bis zum ET aushalten??? Mein Bauch war riesig - ich erschrak immer wieder aufs Neue, wenn ich mich im Spiegel sah. Im Mutterpaß stand, dass die Fundushöhe (der obere Rand der Gebärmutter) schon am Rippenbogen angekommen war. Dies ist eigentlich erst in der 36. SSW so, ich hatte wirklich sehr viel Fruchtwasser. Aber nach den Untersuchungen in Hamburg - Barmbek war ich beruhigt, es war zwar zuviel Fruchtwasser, aber laut Aussage von Dr. Hecher war alles in Ordnung, es bestand noch kein Handlungsbedarf.
Nun, wir waren an dem Tag noch bei der EVH, Gas- und Stromverträge abschließen. Ich weiß noch, dass es sehr sehr warm war. Meine Füße ähnelten Elefantenfüßen, sie waren durch das Wasser dermaßen aufgequollen und angeschwollen, dass ich mir von meiner Oma Gesundheitslatschen ausgeborgt hatte, die waren bequem und drückten nicht. Die Frau bei der EVH fragte noch lächelnd: “Na, das ist aber bald soweit, nicht?” Auf meine Antwort war sie nicht gefaßt. Als ich ihr sagte, dass ich noch so 16 - 18 Wochen vor mir hab, schaute sie mich sehr ungläubig an. Als ich sie dann noch aufklärte, dass ich Zwillinge erwarte, lächelte sie mich an und meinte: “Na dann passen sie schön auf sich und die Zwerge auf, damit alles gut geht!!!” Ich benickte das eifrig, wusste ich doch selbst, dass ich aufpassen muß.
Wir fuhren danach zu meiner Oma, aßen zu Mittag und dann ging es wieder in unsere neue Wohnung, in der ja noch die Kartons ausgeräumt werden mußten.
Am frühen Abend war alles erledigt. Ich genehmigte mir eine mit Leberkäse belegte Scheibe Brot. Dann spazierten wir noch einmal in unsere alte Wohnung, warum, weiß ich heute nicht mehr genau. Meine Schwiegereltern waren noch bei uns in der neuen Wohnung. Als wir wieder in unserer neuen Wohnung waren, mußte ich dringend auf die Toilette - ich hatte heftigen Durchfall. Ich habe mir nichts dabei gedacht, da ich in der Schwangerschaft recht häufig unter Durchfallattacken zu leiden hatte. Heute weiß ich, dass ich allergisch auf Zwiebeln und Koffein reagiere - das wusste ich damals noch nicht. Ich verbrachte eine ganze Weile abwechselnd auf der Toilette und in der Küche, wo ich mir etwas zu Essen machte. Durch den Durchfall hatte ich bald Bauchschmerzen. Zumindest dachte ich, dass es Bauchschmerzen wären. Nach einer Weile waren aber die Bauchschmerzen wieder vorbei, der Durchfall auch - zum Glück. Der Abend verlief ruhig und wir genossen unsere neue Wohnung. Wir sahen fern, kuschelten und ich streichelte meine Babies im Bauch. Wir gingen bald schlafen. Ich lag im Bett, die Hände auf dem Bauch und wünschte meinen Zwergen eine gute Nacht. Ich lag auf der linken Seite, war kurz vorm Einschlafen - als ich ein “komisches” Knacken im Bauch spürte. Ich war erschrocken, dachte ‘Was war das?’ Als ich mich bewegte, spürte ich, dass mir etwas Warmes an den Beinen herunterlief. Da schoß es mir durch den Kopf “Das war die Fruchtblase. Die Fruchtblase ist geplatzt!!!” Es war 22.40 Uhr. Mir klopfte das Herz bis zum Hals - es war viel zu früh, viel viel viel zu früh!!! Ich machte meinen Mann Nicky wach mit den Worten: “Nicky, wach auf, mir ist eben die Fruchtblase geplatzt. Wir müssen ins Krankenhaus!!! Schnell!!!” Er sprang auf, völlig verstört. Wir hatten noch nicht einmal ein Telefonanschluß, das Handy - ich weiß nicht, wo das Handy eigentlich war. Ich sagte ihm, dass er zu unseren Nachbarn gehen soll, die haben Telefon. Dort rannte er hin, plötzlich war ich ganz allein - ich weinte, meine Gedanken waren wirr und durcheinander. Dann hockte meine Nachbarin plötzlich an meinem Bett. Sie nahm meine Hand - in dem Moment fühlte ich, wie die zweite Fruchtblase zersprang. Ich bekam eineiige Zwillinge, die durch eine dünne Wand in der gemeinsamen Fruchtblase getrennt waren (monochorial diamnotisch). Nun war auch diese Trennwand kaputt. Das Fruchtwasser lief und lief - ich war total verzweifelt. Meine Nachbarin sprach beruhigend auf mich ein, sie war so lieb zu mir. Dann plötzlich standen zwei Sanitäter im Schlafzimmer, sie baten mich, auf die Liege zu klettern, mich dabei aber so wenig wie möglich zu bewegen. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, wie ich das geschafft habe. Sie trugen mich gemeinsam mit meinem völlig verzweifelten Mann die Treppe herunter. Unten angekommen bemerkte ich unseren guten Freund Daniel, der gerade mit seinem Hund Gassi ging. Er rief uns zu, ob alles okay sei. Später erzählte er uns, dass er total geschockt war, mich mit diesem verzweifelten verweinten Gesicht auf dieser Liege zu sehen. Er dachte aber, dass mir das Wetter kreislaufmäßig vielleicht zu schaffen gemacht hatte und ich zusammengebrochen wäre. Was wirklich passiert war, das hätte er niemals erwartet. Mein Mann durfte nicht mitfahren, wegen der Versicherung - ich hab das nicht wirklich verstanden. Ich sagte ihm, dass er bitte nicht allein fahren soll, dass er seinen Vati anrufen solle. Der Sanitäter sagte ihm noch, wohin sie mich bringen und dass er für mich ein paar Sachen einpacken solle, da ich mit Sicherheit die nächsten Wochen im Krankenhaus verbringen werde. Die Fahrt ins Krankenhaus war kurz und holprig. Ich erinnere mich noch deutlich daran, dass mir jede Erschütterung weh tat, dass ich immer dachte, dass wir das nie schaffen in die Klinik bei diesem Geschaukel. Ich fragte den Sanitäter, ob er mir sagen kann, wie groß die Chancen für meine Kinder stünden. Er sagte mir sehr mitfühlend, dass er mir das nicht beantworten könne, da er selbst zum Arzt für Innere Medizin ausgebildet wird und dadurch das Gebiet Geburtshilfe nur am Rande kennen lernt. Er nahm meine Hand, strich mir über die Wange und meinte zu mir, dass ich in ein sehr gutes Krankenhaus komme, dass sie dort alles für mich und meine Kinder tun werden und dass ich bitte bitte positiv denken soll. Ich war so verzweifelt, 22 Wochen das war doch so viel zu früh. Wie würde es nun weitergehen??? 23.15 Uhr war ich im Kreißsaal - beim Umsteigen auf das Kreißbett plätscherte eine große Ladung Fruchtwasser auf den Fußboden. Ich sagte zur Hebamme, dass es mir leid tue, dass sie jetzt noch wischen muß. Sie beschwichtigte mich und meinte, ich solle mir mal keine Gedanken um so was machen. Zumindest sei somit der Blasensprung definitiv gesichert und der Zustand des Fruchtwassers wäre nun auch klar. Wenige Augenblicke später kam die diensthabende Ärztin, Frau Dr. Beck. Sie untersuchte mich vaginal, sagte mir, dass der Gebärmutterhals deutlich verkürzt, weich und für 1 Finger durchgängig sei. Sie nahm Abstriche und schickte sie sofort ins Labor. Dann machte sie einen Ultraschall. Ich sah leider nichts, sie erklärte aber, was sie sah. Vivien ging es prima. Sie strampelte, was ich durch das nun sehr geringe Fruchtwasser deutlich spürte. Vanessa hingegen ging es nicht so gut. Sie bewegte sich kaum, eher zögerlich - ich war es gewohnt, dass sie ruhiger und bedächtiger war, aber so kannte ich sie dann doch nicht. Frau Dr. Beck sagte, dass ihre Herzfrequenz deutlich verlangsamt sei, dass sie nicht sagen kann, ob die kleine Maus das lange schaffen kann. Sie erklärte mir, was es für Möglichkeiten gab. Die erste Möglichkeit wäre, der Natur ihren Lauf zu lassen und die beginnenden Wehen zu unterstützen, somit die Kinder auf die Welt zu bringen und damit ihren Tod zu beschließen. Die andere Möglichkeit wäre, die Schwangerschaft zu erhalten, eine Bolustokolyse (Wehenhemmung) zu veranlassen und somit zu versuchen, die Babies bis zur vollendeten 25. SSW im Bauch zu behalten, da dann ihre Überlebenschancen einfach viel besser wären. Für mich gab es nur eine Möglichkeit, ich wollte meine Kinder um jeden Preis behalten. Sie klärte mich weiterhin auf, dass es zu Komplikationen in der Form von Infektionen kommen kann, dass es trotz aller Versuche, die Wehen zu hemmen, weiterhin zu Wehen kommen kann, dass meine Kinder behindert zur Welt kommen könnten, dass sie noch im Bauch sterben könnten. Ich schob alles weit von mir, wollte nur, dass sie endlich diesen Tropf anschließen. Ich betete und hoffte, dass alles wieder gut wird. Um 23.50 Uhr wurde endlich der Wehenhemmer angeschlossen. Ich fragte die Hebamme, ob denn mein Mann endlich da wäre. Sie sagte, dass er da wäre, sie aber schnell noch Blut abnehmen müsse. Das tat sie auch, ich wollte endlich meinen Mann an meiner Seite! Dann kam wieder eine Hebamme und wollte noch schnell Blutdruck messen. Plötzlich lief mir das Blut aus dem Arm, es bildete sich schnell eine Lache. Die Hebamme hatte an dem Arm Blutdruck gemessen, wo mir die andere Hebamme kurz vorher Blut gezogen hatte. Mit diesem blutverschmierten Arm und Bettlaken sah mich mein Mann dann das erste Mal im Kreißsaal. Er bekam sofort einen riesengroßen Schreck. Ich sagte ihm, was passiert war, dass er keine Angst haben soll. Dann erzählte ich ihm, wie es um unsere Kinder stand. Er weinte genau wie ich. Die Hebamme kam wieder und sagte, dass ich mich beruhigen solle, auch wenn es schwer ist. Aber für die kleinen Zwerge im Bauch ist es wichtig, dass man nicht zu unruhig ist. Nach einer halben Stunde so gegen 1 Uhr schickte ich meinen Mann nach Hause bzw. er versprach mir, dass er bei seinen Eltern schläft, damit er nicht allein ist. Da auf Station kein Bett frei war, mußte ich die Nacht im Kreißsaal verbringen, im Kreißbett, welches nun nicht zum Schlafen gedacht und somit auch nicht dafür gebaut war. Ich konnte nicht schlafen, durch die Tokolyse fing mein Herz an zu rasen, ich schwitzte, ich war durcheinander. Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, auf dem Rücken mit beiden Händen auf dem Bauch. Meine Gedanken vorm Einschlafen waren “Bitte bleibt bei mir im Bauch, bitte laß die Wehen ganz aufhören, bitte laß alles gut gehen, bitte bitte bitte!!!” Ich wurde wach, weil ich mal pullern mußte und Durst hatte. Die Hebamme kam mit dem Schieber, an Aufstehen war nicht zu denken. Es war halb sieben. Die Hebamme sagte mir, dass sie noch einmal Blut abnehmen muß, da meine Körpertemperatur von 36,1 auf 36,8 gestiegen war. Eine Weile später kam sie wieder und teilte mir mit, dass meine Entzündungsparameter im Blut erhöht sind und ich deshalb sofort Antibiotika bekommen muß. Ich dachte nur “Nein, bitte laß es keine Infektion sein, bitte nicht.” Ich verspürte noch immer leichte Wehen, sie äußerten sich in einem Hartwerden des Bauches. Nicht schlimm, nicht regelmäßig, aber immer wieder einmal.
Der Chefarzt Dr. Buchholz kam zu mir. Er begrüßte mich sehr freundlich und auch er erläuterte mir ganz ehrlich, wie groß die Chancen für meine Kinder seien und wie groß die Chance sei, bis zur vollendeten 25. SSW zu kommen. Ich wollte alles für meine Kinder tun, alles. Das fand er sehr lobenswert, sagte mir aber, dass er sich in jedem Fall für das Leben der Mutter - also meines - entscheiden wird, wenn es zum Härtefall kommen sollte. Es kann sein, dass ich eine Amnioninfektion entwickele, die erst die Fruchthöhle der Kinder, dann die Kinder selbst, die Gebärmutter, die Eileiter, die Eierstöcke und zuguter Letzt dann meinen Blutkreislauf befällt und ich dadurch entweder unfruchtbar werde, meine Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke verliere und im schlimmsten Fall daran auch sterben kann. Ich weinte, ich war verzweifelt. Was erzählte er mir da??? Das geht doch gar nicht, oder? Wieder fragte ich ihn, wie hoch die Chance für meine Kinder an sich seien, wenn sie jetzt auf die Welt kämen. Er meinte, dass es in dieser frühen Schwangerschaftswoche keine Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes gäbe. Es wäre einfach viel zu früh, wenn denn dann die festgestellte Schwangerschaftswoche auch wirklich stimmt. Manchmal ist es einfach so, dass man die SSW falsch bestimmt, weil verschiedene Parameter einfach nicht ganz stimmen. Es gibt eben große und kleine Kinder und daran kann man das Schwangerschaftsalter eben nicht festmachen. Man muß dann im Einzelfall eben entscheiden, wenn das Kind auf der Welt ist. Sollten wir es bis in die 23. / 24. SSW schaffen - besser wäre aber die 25. / 26. SSW, dann wären seiner Erfahrung nach die Chancen folgendermaßen verteilt: 1/3 der Kinder überleben gesund, 1/3 der Kinder überleben mit mehr oder weniger schweren Behinderungen und das letzte Drittel verstirbt - entweder im Mutterleib, bei der Geburt oder danach. Das kann man vorher nicht einfach so sagen. Erschwerend kam ja nun auch noch hinzu, dass durch das fehlende bzw. viel zu geringe Fruchtwasser die Entwicklung der Lunge gefährdet ist. Welch Ironie des Schicksals - erst hatte ich viel zuviel Fruchtwasser und nun plötzlich war es nicht mehr ausreichend vorhanden. Ich hätte schreien können. Ich bedankte mich bei ihm für dieses ausführliche Gespräch. Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Das war alles zuviel für mich. Meine Hebamme rau Ganß kam und tröstete mich. Ich fragte sie, was denn auf mich zukommen würde, wenn meine Babies jetzt auf die Welt kommen würden. Wie würde die Geburt ablaufen? Gäbe es einen Kaiserschnitt? Ihrer Erfahrung nach wäre es eine normale Geburt, da man in dieser frühen Schwangerschaftswoche keine Lebensfähigkeit der Kinder erwartet. Damit wäre das Risiko eines Kaiserschnittes für mich immens viel höher. Aus diesem Grund würde ich definitiv eine normale Geburt erleben. Sie war selbst sehr ergriffen von der Situation und versprach mir, dass sie dem zuständigen Oberarzt auch noch einmal Bescheid gibt, damit ich noch eine zweite Meinung höre. Dieser kam dann auch zu mir. Dr. Pfau erläuterte mir ebenfalls noch einmal die Chancen und die Lebenserwartung, die weitere Vorgehensweise und was auf mich zukommen kann. Er betonte aber, dass sie sich niemals voreilig für die Beendigung dieser so erwünschten Schwangerschaft entschließen, schon gar nicht ohne meine Einwilligung, sofern ich diese noch geben kann, da sie ja ein katholisches Krankenhaus sind, da sie einen Eid geleistet haben, Menschen zu helfen und da schlussendlich eine Menge Faktoren für einen Entscheid von ausschlaggebender Rolle sind. Das beruhigte mich dann etwas. Ich bat die Hebamme, meine Familie anrufen zu können, ich wollte, dass mein Mann die Entscheidung über die weitere Vorgehensweise mit trifft. Es waren doch auch seine Babies. In dem Moment kam eine andere Hebamme mit dem Telefon und sagte, dass meine Mutti am Apparat sei. Ich war erleichtert, ihre Stimme zu hören. Ich weinte, ich bekam kaum ein Wort heraus, stammelte immer nur: “Bitte kommt her, bitte kommt ganz schnell her, es ist alles so schrecklich. Bitte, ich weiß doch nicht, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was richtig und was falsch ist. Ich will doch nur meine Kinder behalten.” Sie versprach, ganz schnell mit meinem Mann zu kommen.
Die Hebamme brachte mir etwas zu essen. Ich hatte keinen wirklichen Hunger. Aber die Hebamme sagte, ich solle wenigstens eine Kleinigkeit essen, solle an meine Zwerge im Bauch denken. Da knabberte ich etwas am Brötchen, aß dann ein halbes, aß auch den Joghurt. Währenddessen kamen mein Mann und meine Mutti. Ich wurde dann auch endlich in ein Zimmer auf Station verlegt. Ich bekam die Anweisungen, nicht aufzustehen, mich wenn möglich nicht zuviel zu bewegen, bei Beschwerden sofort zu klingeln und ansonsten eben soweit es geht Ruhe zu bewahren. Das war leichter gesagt als getan. Meine Gedanken kreisten ständig nur darum, was nun passiert, was auf mich zukommt, ob ich meine Kinder behalten kann, ob sie es schaffen. Mein Mann und meine Mutti suchten das Gespräch mit dem Chefarzt, da ich so durcheinander war und nicht wusste, ob ich ihnen alles richtig erzähle. In der Zeit bekam ich Mittagessen, von dem ich aber auch nicht allzu viel essen konnte. Ich bekam einfach nicht wirklich was herunter - es kam mir vor, als hätte ich einen dicken Reißverschluß im Hals, der verschlossen blieb. Ich grübelte die ganze Zeit, wieso die Fruchtblase geplatzt war. Lag es doch daran, dass ich trotz Schwangerschaft immer mal 3 Zigaretten geraucht hab? Lag es am Umzug, war der doch zu stressig gewesen??? Hatte ich irgendwas falsch gemacht??? Diese Gedanken sagte ich auch meinem Mann, als er wieder da war. Er und auch meine Mutti glaubten nicht, dass ich irgendetwas falsch gemacht habe. Meine Mutti ging noch einmal zum Chefarzt, erzählte ihm von meinen Ängsten. Er kam noch einmal zu mir, beschwichtigte mich, sagte mir, dass ich nichts falsch gemacht hätte und dass es mit Sicherheit nicht an 3 Zigaretten pro Tag gelegen hat. Sein Wortlaut war: “Hätten Zigaretten darauf einen Einfluß, dann hätten wir täglich mehrere Frauen hier, denen die Fruchtblase geplatzt ist. Aber es gibt so viele ‘Raucherbabies’, daran lag es also wirklich nicht. Das verspreche ich ihnen.” Wirklich beruhigt hat mich das nicht. Man macht sich ja schon so seine Gedanken. In der Zwischenzeit waren auch meine Schwiegereltern gekommen.
Der Oberarzt kam nach einer Weile noch einmal zu mir. Er erklärte mir, dass der Infektionswert weiter gestiegen sei, dass es wirklich so aussieht, als ob sich da eine Amnioninfektion entwickelt. Er wollte noch einmal einen Ultraschall machen. 14.30 Uhr wurde ich zum Ultraschall gebracht. Ich sah meine zwei Mäuse auf dem Bildschirm. Vivien wie immer lebhaft tretend, boxend, zappelte sie auf dem Bildschirm rum. Vanessa weniger aktiv - wie gewohnt eigentlich - und doch irgendwie kraftloser als sonst. Es war ein anderes Bild irgendwie. Da nun das Fruchtwasser viel zu wenig war - es lief mir immer wieder intervallmäßig ab - war auch die Sicht nicht mehr so klar. Es war für mich wirklich ein sehr ungewöhnliches Bild. Sonst konnte ich meine Zwerge immer so deutlich sehen, nun hatte ich schon etwas Mühe - aber trotzdem sah ich alles. Viviens Herzchen schlug kräftig wie immer, gleichmäßig und kräftig - bummbummbummbummbumm. Vanessas Herzchen schlug unregelmäßiger, sehr schwach, wenn ich eine Wehe verspürte (da ich ja von der Tokolyse abgeschaltet war zum US). Dr. Pfau schaute mich an, meinte dann sehr leise - aber doch hörbar: “Es sieht so aus, als würde es die kleine Maus nicht mehr lange schaffen. Sie scheint sehr schwach zu sein. Ich weiß nicht, wie lange sie es noch durchhält, aber bis zu 25. SSW auf keinen Fall. Es tut mir sehr leid.” Das schockierte mich sehr. Ich sah auf den Bildschirm, sah es ja selbst, aber mein Herz wollte das nicht wahrhaben. Mein Mann schaute mich an, er war total überfordert mit der Situation, ihm standen die Tränen in den Augen. Ich sagte dann: “Wenn es so ist, dann muß ich wenigstens die Entscheidung nicht treffen. Dann ist es eben so, weil die Natur es so wollte. Aber die Große, sie muß es schaffen und sie hat doch die Chance, oder?” Gedacht hab ich noch, dass Vivien vielleicht sogar bessere Chancen hätte, wenn Vanessa im Bauch stirbt. Dieser Gedanke erschreckte mich doch sehr. Aber in der Situation war ich so darauf fixiert, dann wenigstens ein Kind lebend zu bekommen. Doch ganz tief in mir wollte ich beide behalten!!! Dr. Pfau erläuterte mir noch einmal, dass sie am nächsten Tag über die weitere Vorgehensweise diskutieren und abstimmen wollen. Denn der Infektionswert hatte trotz Antibiotika steigende Tendenz und das kann man nur bis zu einem bestimmten Punkt verantworten. Mein Mann und ich sagten ihm, dass wir die Kinder zur Welt bringen, wenn der Wert noch mehr steigen sollte und die Tendenz weiterhin steigend ist. Aber nur, wenn es wirklich nicht zu ändern ist. Dr. Pfau hat verstanden, wie schwer mir diese Worte gefallen sind, wie schwer diese Entscheidung für uns zu tragen war. Er versicherte mir, dass er die Werte genau im Auge behält. Ich fragte ihn noch, ob ich denn dann wenigstens einen Kaiserschnitt bekommen könnte. Er verneinte und erklärte mir, dass sie einen Kaiserschnitt nur dann machen werden, wenn auch nur die geringste Chance einer Lebensfähigkeit für wenigstens eines meiner Kinder bestünde. Ansonsten wären die Risiken eines Kaiserschnittes viel zu hoch. Auch für die Trauerbewältigung wäre es von großem Vorteil, wenn ich meine Kinder auf normalem Weg auf die Welt bringen würde. Verstanden habe ich das in dem Moment nicht!!!
Ich kam wieder auf mein Zimmer. Es war 15.20 Uhr, ich bekam eine neue Tokolyse, meine Körpertemperatur betrug nun schon 37,6 °C - ein untrügliches Zeichen für eine Infektion.
16.30 Uhr kamen Dr. Pfau und Frau Dr. Schmitt in mein Zimmer. Sie erklärten mir sehr gefühlvoll und vorsichtig, dass die Infektionswerte um ein Vielfaches gestiegen sind, dass es sogar in einer immensen Geschwindigkeit gestiegen ist, die sie selbst nicht erwartet hatten. Ich sah meinen Mann an, meine Mutti, meine Schwiegereltern - ich wusste, was das bedeutet. Ich wusste, dass ich nun die Entscheidung treffen mußte, dass ich nun die Entscheidung über das Leben meiner Kinder traf - ich sagte mit Tränen in den Augen, dass sie den Wehenhemmer abstellen sollen. Mein Mann weinte, meine Mutti sah mich traurig an … mehr hab ich nicht mehr registriert - ich war so verzweifelt. Ich wusste, ich würde meine Kinder nun auf die Welt bringen, um sie gleich wieder zu verlieren. Ich würde sie niemals schreien hören, sie würden niemals mit nach Hause kommen, ich würde sie niemals lachen hören, ihre Augen würden niemals in meine schauen … es war einfach zuviel. Ich weinte …
Oberarzt Dr. Klaube, der Leiter der Frühgeborenenintensivstation kam zu mir, erklärte mir im Beisein von Dr. Pfau, dass auf jeden Fall ein Inkubator im Kreißsaal ist, dass sie bei vitalen Lebenszeichen meiner Kinder sofort helfen würden, dass alles getan wird, wenn … ja wenn sie die Geburt überleben. Dr. Klaube machte mir aber wenig Hoffnung, aufgrund der kleinen SSW sei es sehr unwahrscheinlich, dass sie lebend zur Welt kommen. Seiner Erfahrung nach versterben Frühchen dieser SSW während der Geburt, spätestens jedoch bei der Abnabelung. Aber er versicherte mir, in der Nähe zu sein, wenn meine Kinder geboren werden. Dies beruhigte mich ein ganz kleines bißchen. Dann erklärte mir Frau Dr. Schmitt die Vorgehensweise der Geburtseinleitung, einer eventuell erforderlichen Bluttransfusion bei erheblichem Blutverlust und dass die Möglichkeit einer Ausschabung besteht, falls die Plazenta nicht von allein oder nicht vollständig ausgestoßen wird. Ich hörte ihr zu, verstanden hab ich das nicht wirklich. Immer wieder kreiste in meinem Kopf “Nun verlierst du deine Kinder, sie werden sterben und du mußt weiterleben. Du mußt sie auf die Welt bringen … unter Schmerzen … warum?” Frau Dr. Schmitt erklärte mir, dass ich keine Schmerzen aushalten müsse, dass sie sehr großzügig mit Schmerzmitteln verfahren werden, damit ich die körperlichen Schmerzen nicht aushalten brauch. Und wer nimmt mir die seelischen Schmerzen??? Weiterhin erklärte sie mir, dass im Falle eines Körpergewichtes ab 500 g meine Kinder bestattungspflichtig sind, im Falle einer Lebendgeburt in jedem Fall, auch unter 500 g. Sie fragte, ob ich meine Kinder sehen möchte nach der Geburt. Ich sah sie ungläubig an, natürlich möchte ich meine Kinder sehen. Was ist das denn für eine Frage??? Dann erläuterte sie mir noch, dass ich / wir auch die Möglichkeit einer Obduktion unserer Kinder haben. In dem Augenblick wurde mir bewusst, dass sie alle damit rechneten, dass unsere Kinder wirklich sterben und keine Chance haben. Ich sah sie mit verweinten Augen an und fragte: “Bitte sind sie ganz ehrlich zu mir. Glauben sie daran, dass meine Kinder lebend geboren werden?” Sie sah mich an und schüttelte mit dem Kopf, dann drückte sie meine Hand und sagte leise: “Es tut mir so leid! Ich werde sie bei der Geburt begleiten, ich bin für sie da.” Ich weinte wieder.
Nun war es also soweit, es war Donnerstag, der 22.06.2000 um 17.45 Uhr. Ich lag in dem Kreißsaal, den wir uns ein paar Wochen zuvor noch angesehen hatten. Da dachten wir nicht daran, dass ich unter solchen Umständen hier entbinde. Welch Ironie des Schicksals!!! Ich kam an den Wehentropf. Mir ging durch den Kopf: “Erst werden die Wehen unterdrückt und nun sollen sie kommen.” Fast sofort bekam ich regelmäßige starke Wehen. Meine Hebamme Frau Schumann stellte sich vor, sie untersuchte mich, sagte mir, was alles passieren wird. Ich fragte sie, ob sie mir sagen könnte, wie ich atmen müsse. Ich wusste das doch nicht!!! Sie erklärte es mir. Ich fühlte mich so allein, allein mit meinen Gedanken, allein mit allem. Nicky war in der Zwischenzeit vor dem Kreißsaal bei meiner Mutti und seinen Eltern. Er war völlig fertig, hatte Angst, es nicht zu schaffen. Meine Mutti sagte ihm, dass er mich nicht allein lassen soll, dass er es mit mir durchstehen muß. Auch die Hebammen sagten ihm, dass ich ihn brauche, dass er bei mir sein soll. Da kam er wieder zu mir. Wir sahen uns an, wir weinten. Es war so schmerzhaft, wir waren so verzweifelt. All unsere Wünsche, unsere Träume - alles kaputt. Die Wehen waren heftig, sie waren stark, regelmäßig - sie trafen mich völlig unvorbereitet. Das für mich Allerschlimmste war, dass ich meine Kinder in mir trampeln fühlte. Sie bewegten sich, sie lebten und ich mußte sie auf die Welt bringen. Mit vollem Bewußtsein, dass ich sie damit umbringe. Das ist so heftig gewesen, diese Gedanken, dieses klare Bewußtsein, dass alles vorbei sein wird. Die Wehen wurden immer heftiger. Ich wollte was gegen die Schmerzen. Ich bekam eine Spritze Buscopan in den Pomuskel. Sie tat sehr weh. Es war ein Mittel, dass den Muttermund entspannt und somit kann er sich leichter öffnen. 18.15 Uhr wurde ich gleich wieder untersucht. Der Gebärmutterhals war nur noch leicht wulstig, für 2 Finger durchgängig. Es ging so schnell!!! Zu schnell für mich!!! Ich wollte sie noch nicht entbinden, bitte ich will sie doch gar nicht entbinden!!! Ich wollte das immer herausschreien, aber ich wimmerte nur vor mich hin. Die körperlichen Schmerzen auszuhalten war für mich mein Abschied von meinen Kindern, mein Loslassen. Ich wollte sie unter Schmerzen gebären, damit ich weiß, dass es sie gab. 18.45 Uhr bekam ich eine Spritze Dolantin. Mein Muttermund war 3 cm. Es ging weiter … Frau Schumann meinte, dass ich noch eine Weile brauche, dass ich klingeln soll, dass sie uns nun wieder etwas allein läßt. Für sie war es sicher auch schwer auszuhalten, die Gewissheit, dass nebenan im Kreißsaal ein reifes Kind geboren wird und hier bei uns zwei tote unreife kleine Frühchen. Sie ging also erst einmal hinaus. Keine 5 Minuten später sagte ich zu Nicky: “Schatz, ich muß dringend auf die Toilette, ich muß mal groß.” Er: “Das geht nicht, du kannst doch jetzt nicht …” Ich: “Ich muß verdammt, ich muß aber, es drückt so … Nicky, es ist Vivien, sie kommt, es ist Vivien …” Da brüllte er so laut er konnte: “Hilfe, nun helft uns doch bitte …” Frau Schumann kam angerannt. Sie fragte, was denn sei. Nicky sagte ihr, dass ich mal auf die Toilette müsse, dass es so drückt. Ich konnte nichts sagen, da ich damit beschäftigt war, meine Tochter IN MIR zu behalten. Ich lag auf der Seite, sie hob mir ein Bein an, untersuchte mich und sagte, ich solle mich bitte auf den Rücken drehen, da ich vollständig eröffnet sei und nun mein erstes Kind geboren wird. Ich legte mich also auf den Rücken. Sie rief Frau Dr. Schmitt. Sie war kaum da, als mich die nächste Wehe - eine Preßwehe überrollte. Es war 17.50 Uhr, ich sah die Uhr, als ich auf dem Rücken lag. Die Uhr hing mir gegenüber. Woran es lag, dass mein Muttermund innerhalb von 5 Minuten von 3 auf 10 cm eröffnet war, möchte ich heute noch gern wissen!
Ich sollte pressen. Instinktiv holte ich tief Luft, machte die Augen und den Mund zu, legte den Kopf auf die Brust und presste. Es war gar nicht so schwer wie ich dachte. Die Hebamme dehnte meinen Damm - es war ein sehr eigenartiges Gefühl. Es drückte und spannte - es tat weh. Dann merkte ich, dass da etwas von innen nach außen drängte. Ich hielt inne - die Hebamme sagte, ich solle bitte weiter pressen. Ich presste also weiter. Dann spürte ich, wie das Köpfchen von Vivien aus mir rauskam. Ich sollte warten, sollte hecheln. Dann Pause - Frau Dr. Schmitt sagte zu Frau Schumann: “Schnell, holen sie eine angewärmte Mullwindel, schnell!!!” Ich fragte mich, was sie damit wohl will. Was soll das??? Die nächste Wehe - pressen - sie … meine Tochter … ist da. Frau Dr. Schmitt: “Ach Gottchen, ach Gottchen, schnell, schnell die Windel!!!” Frau Schumann trägt mein Baby zum Wickeltisch. Warum? Was macht sie da mit ihr??? Ich sehe ein kleines Ärmchen, es ist nach oben gestreckt, zappelt! Vivien? Aber Du bist doch tot? Wieso bewegst Du Dich? Vivien? Was machen sie da? Wieso streichelt sie mein Baby, was will denn plötzlich der Arzt da? Und wieso sind da nun zwei Hebammen? Wer ist das? (Jetzt weiß ich, dass die zweite “Hebamme” eine Kinderärztin war.) Was ist los? Wo ist der Inkubator eigentlich??? Die nächste Wehe - pressen - das gleiche Drücken, Dehnen, Spannen, es tut weh - hecheln … vorbei - Vanessa ist geboren. Wieder die Windel, schnell schnell auf den Wickeltisch. Was um alles in der Welt ist denn los??? Wieder ein kleines Ärmchen, eine Bewegung? Ich bilde mir das ein, oder? Frau Dr. Schmitt hat doch gesagt, dass sie tot sein werden. Werde ich jetzt verrückt? Drehe ich schon durch??? Ich will meine Babies haben, ich will sie sehen. Worauf warten die denn noch??? Wieso bekommen sie keine Beatmungsgeräte? Was - ach ja, sie sind ja tot, sie können ja nicht leben, sie sind zu klein. Was … ach die Plazenta - ja, noch einmal pressen … sie flutscht raus, ein ekliges warmes weiches Gefühl. Ich bin völlig am Ende. Nicht durch die körperliche Anspannung - nein, es ist die seelische Achterbahnfahrt, die mich so fertig machte. Frau Dr. Schmitt kontrolliert die Plazenta, zeigt sie uns, die Eihäute, die Nabelschnüre - Vanessa ihre Nabelschnur ist in der Eihaut angewachsen, nicht in der Plazenta. Vivien ihre ist mittig in der Plazenta. Ich sehe, dass der Mutterkuchen unterschiedliche Anteile hat. Man erklärt uns, dass der große Anteil Vivien ihrer und der kleine Vanessa ihrer ist. Schön, nun weiß ich, wie eine - wie meine Plazenta aussieht. Aber ich will meine Kinder! “Wie sollen sie denn heißen? Haben sie Namen?” Ich antwortete: “Unsere erstgeborene Tochter ist Vivien-Sophie, ihre Schwester heißt Vanessa-Michelle. Bitte beide mit Bindestrich!” Warum ich darauf plötzlich solchen Wert lege, das weiß ich nicht. Aber ich wollte unbedingt den Bindestrich. Drei Menschen standen um den Wickeltisch herum, flüsterten leise, hantierten. Einer - ich weiß nicht wer - hatte plötzlich eine Polaroidkamera in der Hand - es klickte - ein Blitz - wieder ein Klick - ein Blitz … unendliche Stille. Diese Ruhe machte mich bald wahnsinnig. Frau Dr. Schmitt fragte uns wieder nach der Obduktion. Ja ja ja, wir wollten eine, wir wollen doch wissen, was passiert ist - wieso das passiert ist. Frau Schumann kam auf uns zu, hielt zwei Klappkarten in der Hand. “Ich hab hier die Geburtskarten ihrer Töchter, mit allen Angaben und einem Foto. Wollen sie sie erst einmal auf dem Foto sehen?” fragte sie uns ganz behutsam mit einem unendlich traurigem Gesichtsausdruck. Plötzlich waren wir auch wieder nur mit Frau Dr. Schmitt und Frau Schumann allein im Kreißsaal. Ich nahm die Karten, schlug die erste auf - Vivien-Sophie stand da, ich sah das Foto - ich sah meine kleine Tochter das erste Mal - sie sah so wunderschön aus. Erst dann sah ich auf die Angaben … geboren am 22.06.2000 um 18.55 Uhr, 555 g schwer, 28 cm lang, ein Kopfumfang von ca. 20 cm (sie haben ihn nicht gemessen, wir haben ihn anhand der US-Angaben aus Hamburg und dem durchschnittlichen Kopfumfang in dieser SSW berechnet) - so ein zartes kleines Wesen. Dann nahm ich die zweite Karte, schlug sie auf - das Foto - Vanessa-Michelle - noch zarter und doch unheimlich schön. Sie wurde um 19.00 Uhr geboren, 355 g leicht, 23 cm klein, 18 cm Kopfumfang (auch dieser berechnet) - ein vollkommen fertiger kleiner Mensch. Ich sah meinen Mann an, er war genauso fassungslos wie ich. Mich durchströmte ein Gefühl von unbändigem Stolz. Ich hatte zwei wunderschöne Kinder geboren. Daß sie tot waren, daran dachte ich in diesem kurzen Augenblick nicht. Dann sah ich die Hebamme an, ich sah ihren traurigen Blick - da durchfuhr mich ein heftiger Schmerz - mir wurde bewusst, dass ich meine Kinder nicht mit nach Hause nehmen werde - dass sie tot sind. Ich ließ mir das Oberteil vom Bett aufstellen, so dass ich fast aufrecht saß. Nun war auch der Augenblick da, ich hatte Angst - Angst, sie nun zu sehen - ein Foto ist nicht dasselbe!!! Frau Schumann ging zum Wickeltisch, nahm ein “Tablett” und stellte es auf meine Beine. Beim ersten Anblick meiner kleinen toten Töchter überkam mich plötzlich so ein heftiges Gefühl von Mutterliebe, dass es schon weh tat. Da lagen sie auf meinen Beinen, die kleinen Händchen übereinander, die Köpfchen aneinander gelehnt, die Augen geschlossen, sie trugen ein Flügelhemdchen in der kleinsten Größe - es war für beide ein viel zu großes langes Kleidchen. Vivien hatte eine weiße Schleife, Vanessa eine grüne. Ich berührte sie zaghaft, ich streichelte ihre Köpfchen. Sie hatten beide ganz kurze, ganz weiche schwarze Haare auf dem Köpfchen - ein zarter Flaum. Ihre Haut war so dunkel, wieso war sie dunkel??? Ich küsste ihre Stirn, ich roch sie - sie rochen so gut - sie waren so warm, als würden sie nur schlafen. Ich fragte die Hebamme, ob ich meine Mutti anrufen dürfe, um ihr zu sagen, dass sie Oma geworden ist, dass sie bitte herkommen soll, um ihre Enkelkinder zu begrüßen. Wir hatten doch nur so kurze Zeit. Frau Schumann sagte, dass sie das gern übernimmt, dass ich ihr nur die Telefonnummer sagen solle. Ich war ihr dafür so unendlich dankbar. 19.30 Uhr kam Herr Dr. Klaube nochmals in den Kreißsaal. Er sprach uns sein Mitgefühl aus, fragte uns, ob er Fotos von unseren Kindern machen dürfe. Ich stimmte ihm zu. Er erklärte uns noch einmal, dass sie leider nicht lebensfähig waren. Er sagte, dass sie versucht hatten, zu atmen, dass sie einen Herzschlag aufwiesen - dass sie somit als Lebendgeburt gelten, einen Eintrag ins Geburtenregister erhielten und auch eine Sterbeurkunde bekommen würden. Er hat uns jedoch nicht gesagt, wie lange sie lebten - wir haben auch nicht danach gefragt. Ich war ja der Meinung - genau wie Nicky - dass sie bei der Abnabelung gestorben seien. Die Bewegungen dachte ich, mir eingebildet zu haben - Wunschdenken eben. Dr. Klaube erklärte uns, dass die Hautfarbe unserer Kinder deshalb so dunkel ist, weil Frühchen in diesem Schwangerschaftsalter eine ganz ganz dünne Haut haben, dass das Fettgewebe noch nicht ausgebildet sei und somit das blanke Fleisch eben durchschimmert. Dann wird die Haut ja durch Sauerstoffmangel bläulich - diese Verbindung ergibt eben diese dunkle Hautfarbe. Außerdem bestünden ausgedehnte Hautblutungen, die dies noch einmal dunkler scheinen ließen. Ich habe gefragt, wieso sie denn diese Blutungen haben. Da meinte er, dass durch das fehlende Fruchtwasserpolster die empfindliche Haut schon bei kleinstem Druck anfängt zu bluten. Das leuchtete mir schon ein. Frau Dr. Schmitt, die auch noch einmal mit in den Kreißsaal gekommen war, erklärte uns, dass es bei solch ausgedehnten Hautblutungen meistens auch zu schweren Behinderungen bei überlebenden Frühchen gekommen war, da dies auch meist ein Zeichen für Hirnblutungen sei. Ob dies wirklich so ist, weiß ich nicht. Ich habe in den ganzen vergangenen Jahren nichts dergleichen gelesen oder gehört. Nur, dass Extremfrühchen eben sehr anfällig für Hirnschädigungen aufgrund Sauerstoffmangel und Hirnblutungen sind. Dr. Klaube wies uns darauf hin und zeigte uns, dass die Fingerchen an manchen Stellen noch miteinander verwachsen seien, auch die kleinen Zehen. Er sagte uns, dass es verschiedene typische Frühchenanzeichen sind - eine freiliegende Klitoris z. B. Er erklärte uns, dass man eine Lunge, die noch nicht ausreichend ausgebildet ist, auch nicht beatmen kann. Würde man dieses versuchen, würde man Umbauprozesse innerhalb der Lunge erstellen, so dass ein Atmen ohne Beatmungsgerät niemals möglich wäre, diese Kinder also zeitlebens an Maschinen leben würden - sofern sie dies überhaupt überleben. Er war sehr offen und doch sehr behutsam. Er erklärte uns sehr gefühlvoll, dass der Reife-Zustand unserer Kinder einfach nicht mit dem Leben vereinbar wäre, so schmerzlich das auch sei. Ich habe geweint, ich war verzweifelt, habe immer gedacht, dass sie sich ja auch keine Mühe gegeben haben, dass sie ja nichts unternommen haben. Heute - nachdem ich das Buch “Hoffnung für eine Handvoll Leben” gelesen habe - weiß ich, dass sie ALLES für meine Kinder getan haben, was sie tun konnten. Sie haben auf ihre Kraft und ihren eigenen Lebenswillen vertraut - sie haben unseren kleinen zarten Töchtern die Entscheidung überlassen und sie durften friedlich und in Ruhe sterben. Wenn auch nicht in meinen Armen, so doch in unserem Beisein - und im Beisein von wundervollen Menschen. Dr. Klaube und Frau Dr. Schmitt fragten uns, ob wir unsere Töchter selber beerdigen wollen, was wir sofort bejahten. Wir sagten ihnen auch noch mal, dass wir eine Obduktion wollen. Sie notierten sich das alles, nahmen nochmals unsere Hände, drückten noch einmal ihr Mitgefühl aus und ließen uns allein. Nun waren auch meine Mutti und mein Schwiegervater gekommen. Auf meine Frage, wo denn meine Schwiegermutter sei, bekam ich zur Antwort, dass sie das nicht könne. Wer hat mich denn gefragt, ob ich das kann??? Ich war in meiner Trauer auch noch unheimlich enttäuscht, dass sie nicht den Mut hatte, sich ihre ersten Enkel anzuschauen. Mein Schwiegervater schaute mich hoffnungsvoll an, er hatte bis zum Schluß geglaubt und gehofft, dass es wenigstens ein Baby schafft. Als er beide Kinder dort auf meinen Beinen liegen sah, brach er zusammen. Er war völlig verzweifelt, meine Mutti weinte. Ich gab ihr unsere Kinder, sie schaute sie völlig stolz an, sie streichelte und küsste sie und flüsterte immer wieder, wie schön sie doch seien, wie wundervoll. Wie schwer mußte ihr dieser Anblick gefallen sein, wo sie doch meine Zwillingsschwester nie sehen durfte. Nun wurde ihr wohl bewusst, dass sie vor 26 Jahren einen kleinen fertigen Menschen verloren hat. Mein Schwiegervater schaute sich Vivien und Vanessa mit einer unendlichen Zärtlichkeit und Wärme an. Auch er streichelte und küßte sie, so als wäre es das Natürlichste der Welt. Dann gab er sie mir wieder. Ich war neugierig, schob das Hemdchen bei Beiden weg und bestaunte die verhältnismäßig großen Füßchen, fertige kleine perfekte Zehen, ein perfekt geformter kleiner Fuß, ihre dünnen langen Beinchen, ein kleiner runder Bauch, sogar winzige Brustwarzen hatten sie schon. Sie waren so perfekt - wieso durften sie nicht bei uns bleiben??? Ich nahm Vivien, setzte sie auf, wollte sie auf den Arm nehmen und traute mich das nicht, ich dachte, ich dürfe das nicht. Heute bereue ich dies. Hätte ich doch meinem Wunsch nachgegeben, hätte ich sie doch wenigstens ein einziges Mal in den Arm genommen - richtig an mein Herz gedrückt. Ich kam mir vor, als würde ich verbotene Dinge tun. Aber keiner hatte uns gesagt, dass wir sie genauso behandeln dürfen, wie wir möchten - denn es waren doch unsere Kinder. Obwohl es eine sehr schmerzhafte Zeit war, so war es doch die schönste, die ich mit meinen Kindern hatte. Trotz aller Trauer war ich auch unendlich stolz, zwei so wunderschöne Kinder geboren zu haben. Ich küsste und herzte sie immer wieder, streichelte sie immer wieder. Sie wurden kühler, ihre kleinen Körperchen verloren so schnell an Wärme. Wie gern hätte ich sie an meine nackte Brust gelegt, sie gewärmt … aber ich traute es mir einfach nicht. Dieses Gefühl, sie so ganz nah bei mir zu haben, das fehlt mir - es fehlt mir immer mehr! Nach 2 Stunden kam die Hebamme wieder, wir gaben ihr unsere Kinder - ich hätte schreien können, als sie sie heraustrug. In mir brach eine Welt zusammen! Meine Mutti und mein Schwiegervater gingen aus dem Kreißsaal, damit ich mich frischmachen konnte. Dann kam ich wieder auf mein Zimmer. Man ließ mich auf der gynäkologischen Station - ich war dankbar dafür. Meine Zimmergenossin war eine Frau von 45 Jahren, hochschwanger mit Diabetes. Mir tat dieser Anblick weh. Sie hatte das, was ich verloren hatte. Aber an diesem Abend wollte ich nur noch schlafen schlafen schlafen. Ich mußte auf die Toilette, Nicky kam mit - ich sah das viele Blut und heulte. Alles vorbei!!! Ich legte mich wieder ins Bett, man brachte mir noch eine Kleinigkeit zu essen. Aber ich wollte nichts, nur trinken und dann schlafen. Meine Familie ließ mich dann auch allein. Ich weinte mich in den Schlaf. Ich bekam noch Antibiotika per Flexüle intravenös sowie Abstilltabletten, damit die Milch nicht erst einschoß. Ich hatte trotzdem welche, als wenn auch mein Körper sich gegen die Tatsache wehrte, dass die Babies tot waren. Ich schlief traumlos. Am nächsten Morgen wurde ich wach, ich fühlte “Bewegungen” in meinem Bauch. Mein erster Gedanke war: “He, seid ihr auch schon wach!” Dann öffnete ich die Augen, ich sah, wo ich war, ich fühlte nach meinem Bauch und erschrak. Er war so weich, wabbelig und dann kam die Erkenntnis - ER WAR LEER!!! Meine Babies waren TOT!!! Ich weinte wieder! Es war einfach so schmerzhaft, ich fühlte mich leer, ausgelaugt, ausgebrannt. Ich vermisste meine Töchter mit jeder Minute mehr, wie sollte ich denn jemals ohne sie weiterleben können???
Es gab Frühstück, ich aß aus Notwendigkeit, nicht aus Hunger. Wozu sollte ich denn noch essen? Für wen sollte ich denn noch weiterleben? Meine Kinder waren tot - weg - mein Bauch war leer … es war einfach nur schrecklich. Bei der üblichen Temperaturkontrolle stellte man dann Fieber fest. Ich bekam nun 3 x tgl. intravenös Antibiotikum, fiebersenkende Medikamente und Beruhigungskapseln.
Frau Dr. Schmitt kam, sie fragte nach meinem Befinden, ich konnte nur weinen, ich sah sie nur hilflos an. Sie sagte, dass ich meine Kinder jederzeit sehen kann, wenn ich das möchte. Ich brauchte nur Bescheid sagen. Ich sagte ihr, dass ich sie am Nachmittag noch mal allen in aller Ruhe zeigen möchte, meiner Oma, die schon so viele schöne Jäckchen, Mützchen und Schuhchen gestrickt hatte, meiner Schwiegermutter, die ich dieses Mal ZWINGEN würde, sich ihre ersten Enkelkinder anzuschauen und allen, die sie eben willkommen heißen und verabschieden wollten. Frau Dr. Schmitt sicherte mir dies zu. Ich wurde am Vormittag des 23.06.2000 in ein Einzelzimmer verlegt. Das fand ich sehr schön, so hatte ich Ruhe und konnte schlafen, schlafen, schlafen. Ich habe den restlichen Vormittag nur noch geschlafen. Durch die Beruhigungsmittel war alles sehr verschleiert. Ich war so müde. Zum Mittagessen war ich so geistesgegenwärtig, dass ich die Beruhigungstablette nicht nahm. Ich wollte bei klarem Verstand sein, wenn ich meine Töchter ein letztes Mal sehe. Nach und nach kamen dann mein Mann, meine Mutti mit meiner Oma (sie war damals schon 75 Jahre alt), meine Schwiegereltern. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, bekam ich einen Heulkrampf. Als mein Cousin Oliver, der mit uns in Hamburg war, mit seiner damaligen Freundin zur Tür hereinkamen, habe ich wieder bitterlich geweint. Er kam wortlos auf mich zu, nahm mich sofort in die Arme und ließ mich weinen. Er hielt mich nur fest, so fest er konnte. Dann flüsterte er mir zu, dass es ihm so unendlich leid tut, dass er es nicht verstehen kann. Seine Freundin weinte. Ich zeigte ihnen beiden die Geburtskarten. Sie schauten sie an, weinten … Als ich ihnen den Vorschlag machte, beide Kinder zu sehen, sahen sie mich an und verneinten. Ich solle nicht böse sein, aber das würden sie nicht übers Herz bringen. Zumal sie arbeiten mußte und doch gern danach allein gewesen wären. Ich war ihnen nicht böse, nein, ich war noch nicht einmal enttäuscht. Oliver hatte in Hamburg die Herztöne der zwei gehört - es war erst eine Woche her, als wir in Hamburg waren. In der Zwischenzeit war soviel passiert! Ist es da verwunderlich, wenn er sich es nun nicht zutraute, sich zwei so kleine tote Babies anzuschauen, die er kurz vorher noch im Bauch gestreichelt und sich über die Beulen amüsiert hatte??? Nein, ich war ihm sogar dankbar für diese ehrliche Antwort. Die Schwester kam herein, um mir zu sagen, dass wir nun gern in die kleine Aufbahrungshalle kommen können, es wäre alles vorbereitet. Ich zog mir den Morgenmantel über, mein Mutti organisierte einen Rollstuhl für mich. Ich fühlte mich einfach nicht imstande, allein zu laufen. So zogen wir dann in einer kleinen Gruppe über den Flur über den Hof in die kleine Halle. Die Schwester - übrigens eine Nonne - ging voran, ich schaute mich vorsichtig um. Der Raum war kühl, gefliest - kein Vergleich zum Kreißsaal am Vortag. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, eine schöne Atmosphäre zu schaffen, unsere zwei Engel lagen auf einer mit einem weißen Leinentuch bedeckten Liege, auf einem hübschen Kissenbezug, auf ihrer rosaumrandeten Decke, zugedeckt mit einem kleineren schön gefaltetem Kissenbezug. Es stand eine Vase mit Nelken und Schleierkraut neben Vivien, über ihren Köpfchen brannte mittig ein Teelicht. Rechts und links neben ihnen standen ihre von uns mitgebrachten Plüschtiere - für Vivi ein Rehkitz, für Vanni ein kleines gelbes Küken - wir legten noch zwei Margeritten auf sie. Es war ein schmerzvoller Anblick. Auf dieser Liege erkannte ich WIE klein sie wirklich sind. Ich weinte bitterlich, ich strich über ihre Gesichtchen und schrak zurück. Sie waren so schrecklich kalt. Kein Vergleich zum Tag zuvor! Ihre kleinen kalten Händchen, ihre süßen Gesichtchen! Wir machten Fotos. Nicky wollte so gern ein Foto, wie ich sie im Arm halte. Ja, das wollte ich - ich wollte sie halten - ein einziges Mal! Nicky wollte die kleine Decke zurückschlagen, aber es ging nicht. Sie hatten sie so schön eingewickelt. Wir sahen uns um, nach der Nonnenschwester - sie hatte sich diskret zurückgezogen. Wir trauten uns wieder nicht, unsere Kinder einfach auf den Arm zu nehmen!!! Wie sehr bereue ich das heute!!! Meine Oma war am Boden zerstört, sie weinte und flüsterte immer wieder: “Wieso denn nur? Wieso denn grade unsere zwei??? Warum denn, was hat sie denn verbrochen.” Wie gern hätte ich sie getröstet - aber ich hatte dazu keine Kraft. Meine Schwiegermutter weinte auch bitterlich, alle haben unsere Kinder gestreichelt, haben sie willkommen geheißen und verabschiedet. Ich weiß nicht, wie lange wir in diesem Raum waren - es war schlussendlich viel viel zu kurz. Ich hätte sie so gern noch einmal gesehen, habe mich aber nicht getraut, darum zu bitten. Da ich bzw. wir ja einer Obduktion zugestimmt hatten, dachte ich, dass sie sie gleich dort in die Pathologie gebracht hatten. Im Nachhinein, durch die Unterlagen, die ich später erhielt, erfuhr ich, dass unsere Töchter erst am 27.06.2000 durch Dr. Pfau und Dr. Klaube persönlich in der Pathologie übergeben wurden. Ich hätte sie noch 3 Tage lang sehen können! Aber wenn das niemals erwähnt wird, woher soll man das dann wissen???
Nachdem wir alle wieder in meinem Zimmer waren, war die Stimmung sehr gemischt. Tränen mischten sich mit Stolz, Stolz auf diese zwei wunderschönen Geschöpfe - Stolz auf uns Eltern. Doch nun war ich ausgelaugt, ich nahm meine Beruhigungstablette vom Mittag und sofort wurde wieder alles verschleiert - es vereinfachte es etwas. Doch ich wurde müde, wollte wieder nur noch schlafen. Mein Mann blieb bei mir, hielt mir die Hand - er ließ mich nicht allein. Das fand ich wundervoll. Er wurde am Abend von meinem Schwiegervater abgeholt und verbrachte die Nächte und die Zeit bis zu den Krankenhausbesuchen bei meiner Oma. So waren beide nicht allein.
Abends kam die Nonnenschwester und fragte mich, ob ich gern seelsorgerischen Beistand hätte. Ich sah sie an und fragte, was das sei. Sie antwortete mir, dass es im Krankenhaus einen Pater gäbe, der sich gern mit mir unterhalten würde, wenn ich das möchte. Ich stimmte zu, mir war alles Recht, Hauptsache - es tat endlich nicht mehr so verdammt weh!!! Pater Wolfgang kam noch am Abend zu mir. Er sprach mir sein Mitgefühl aus, wirkte so gar nicht kirchlich. Er war mir sofort sympathisch. Als ich ihm ganz ehrlich sagte, dass ich nicht an Gott glaube, denn wenn es einen Gott gäbe, würde er doch nicht zulassen, dass meine Kinder sterben!!! - Da antwortete er mir, dass Gott manchmal Dinge zuließe, die auch er nicht ganz nachvollziehen könne. Daß er aber der Meinung ist, dass es einen Sinn hat, dass er meine Kinder wieder zu sich geholt hat. Daß meine Kinder weiterleben, aber eben kein irdisches sondern ein himmlisches Leben. Und im Laufe der Zeit würde ich bestimmt bald den Sinn verstehen, den der Tod meiner Kinder hätte. Die Gespräche mit ihm taten mir gut, ich unterhielt mich gern mit ihm. Er kam täglich zu mir, manchmal steckte er einfach zwischendurch noch einmal den Kopf zur Tür herein und fragte mich, ob alles okay ist. Das fand ich immer sehr lieb.
Später am Abend kam die Nachtschwester zu mir, sie schaute, ob alles okay ist, sah, dass ich wieder weinte und setzte sich an mein Bett. Sie erzählte mir, dass sie ganz viele Frauen kennen gelernt hat, die ein Baby verloren haben, dass es sie jedes Mal aufs neue mitnimmt. Sie war mir so nah in dem Moment, wo sie mir die Hand hielt und mit mir redete. Leider habe ich ihren Namen vergessen. So sehr ich auch nachdenke, er fällt mir nicht ein. Leider!!!
Ich blieb bis zum 28.06.2000 aufgrund der intravenösen Antibiotikabehandlung in der Klinik. Ich hatte - wie die Obduktion dann ergab - wirklich eine Amnioninfektion. Meine Kinder waren kerngesund!!!
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In jedem Kind träumt Gott den Traum der Liebe.
In jedem Kind wacht ein Stück Himmel auf.
In jedem Kind blüht Hoffnung, wächst die Zukunft.
In jedem Kind wird unsere Erde neu.
(Christa Peikert-Flaspöhler)
Gott hat seinen Engeln befohlen, Dich zu behützen auf all Deinen Wegen. (Psalm 91,11)
Wer einen Engel zum Freund hat, braucht die ganze Welt nicht mehr zu fürchten. (Martin Luther)
Wir können Kinder nach unserem Sinn nicht formen. So wie Gott sie uns gab, so muß man sie haben und lieben. (Johann Wolfgang von Goethe)
Kinder sind nicht nur freundliche Lichtstrahlen des Himmels und Gottesgrüße, sondern auch ernste Fragen aus der Ewigkeit und eine schwere Aufgabe für die Zukunft.
(Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher) |
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